Erfolg im Beschwerdeverfahren: Landgericht Leipzig hebt Beschluss zur erkennungsdienstlichen Behandlung auf
In einem wegweisenden Beschluss vom 11. Juli 2024 (Az.: 13 Qs 173/24) hat das Landgericht Leipzig eine erkennungsdienstliche Behandlung aufgehoben, die zuvor vom Amtsgericht Leipzig für rechtmäßig erklärt wurde. Der Fall, in dem einer Beschuldigten eine Beleidigung von Polizeibeamten vorgeworfen wurde, wirft grundlegende Fragen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen durch die Polizei auf.
Der Sachverhalt
Die Beschuldigte soll am 4. Juni 2023 im Bereich der Karl-Liebknecht-Straße in Leipzig Polizeibeamte mit den Worten „ACAB“ und der ausgeschriebenen Formulierung „All Cops Are Bastards“ beleidigt haben. Als Reaktion darauf ordnete die Polizei am 11. Dezember 2023 eine erkennungsdienstliche Behandlung an, bei der neben Lichtbildern auch Ganzkörperbilder sowie Finger- und Handflächenabdrücke erstellt werden sollten.
Eingriff in die Persönlichkeitsrechte: Erkennungsdienstliche Behandlung als schwerwiegende Maßnahme
Eine erkennungsdienstliche Behandlung stellt einen tiefgreifenden Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen dar – insbesondere in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das vom Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde und allgemeines Persönlichkeitsrecht) hergeleitet wird. Diese Maßnahme erlaubt es den Behörden, umfangreiche biometrische Daten zu erfassen, die später in polizeilichen Datenbanken gespeichert und mit anderen Straftaten in Verbindung gebracht werden könnten.
Gerade in Fällen, in denen es sich um eine rein verbale Tat wie die vorgeworfene Beleidigung handelt, muss geprüft werden, ob eine solche Maßnahme verhältnismäßig ist. Die Erfassung von Fingerabdrücken oder Handflächenabdrücken, wie sie ursprünglich angeordnet wurde, greift stark in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und die Privatsphäre der Beschuldigten ein. Diese biometrischen Daten stellen einen bedeutenden Aspekt der persönlichen Identität dar, und deren Erhebung und Speicherung sollte nur in absoluten Ausnahmefällen gerechtfertigt sein.
Die Entscheidung des Landgerichts
Das Landgericht Leipzig hob den Beschluss des Amtsgerichts auf und stellte klar, dass die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung in diesem Fall unverhältnismäßig war. Zwar dürfen solche Maßnahmen zur Aufklärung von Straftaten ergriffen werden, doch muss stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Im vorliegenden Fall lagen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Notwendigkeit eines Abgleichs mit Bild- oder Videomaterial vor, das zur Identifizierung der Beschuldigten hätte dienen können.
Das Gericht erkannte, dass die Maßnahme zu weit ging, insbesondere da die vorgeworfene Tat rein verbal war und kein direkter körperlicher Kontakt vorlag, der etwa Fingerabdrücke rechtfertigen könnte. Der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten war hier höher zu gewichten als das Interesse der Strafverfolgungsbehörden an der Erhebung biometrischer Daten.
Grundrechte und Verhältnismäßigkeit
Die Entscheidung verdeutlicht, dass selbst in strafrechtlichen Ermittlungen Grundrechte der Beschuldigten respektiert werden müssen. Jede Maßnahme, die in die Privatsphäre eingreift, muss im Hinblick auf ihre Verhältnismäßigkeit geprüft werden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) schützt jeden Einzelnen vor staatlichen Eingriffen in seine private Lebenssphäre. Die erkennungsdienstliche Behandlung, die neben der Erfassung von Lichtbildern auch die Speicherung sensibler biometrischer Daten umfasst, ist nur dann zulässig, wenn sie zur Aufklärung einer Straftat unbedingt erforderlich ist.
Im vorliegenden Fall fehlte es an konkreten Beweisen, die eine derart invasive Maßnahme gerechtfertigt hätten. Zudem konnte die Identifizierung der Beschuldigten durch die bereits vorliegenden Lichtbilder kaum noch einen Mehrwert bringen, da sie sich bereits im Polizeigewahrsam befand.
Fazit
Das Landgericht Leipzig zeigt mit dieser Entscheidung, dass auch im Rahmen von Ermittlungsverfahren die Rechte der Beschuldigten gewahrt werden müssen und dass unverhältnismäßige Maßnahmen keinen Bestand haben dürfen. Rechtsanwälte sollten stets darauf achten, dass polizeiliche Maßnahmen auch vor Gericht einer genauen Prüfung unterzogen werden.
Disclaimer:
Dieser Beitrag dient ausschließlich der allgemeinen Information und stellt keine Rechtsberatung im Einzelfall dar. Für konkrete Rechtsfragen oder rechtliche Probleme wenden Sie sich bitte direkt an einen Rechtsanwalt.
Vielen Dank an das Kanzlei-Kollektiv-Leipzig für den Hinweis auf diese interessante Entscheidung.